Allein in die Welt hinaus

Okt 24th, 2009 | By | Category: Kind und Kegel

Der erste Urlaub im Ferienlager ist für Kinder ein Riesenschritt in Richtung Selbstständigkeit – und ein großes Abenteuer.

Wenn die elfjährige Theresa Quecke von ihren Erlebnissen im Zeltlager erzählt, dann nur in den höchsten Tönen. Sie erinnert sich Monate später noch an Details: „WdH“ stand damals zum Beispiel auf dem Ferienprogramm im Zeltlager der katholischen Gemeinde im thüringischen Saaldorf, sagt sie. WdH? „WdH heißt Waschen der Höhlenmenschen“, erklärt Theresa mit einem schelmischen Grinsen – damit war der gemeinsame Ausflug ins Schwimmbad gemeint. Heimweh? Langeweile? Für Theresa alles kein Thema!

Der erste Urlaub ohne Eltern prägt

Schön, wenn die Begeisterung auch Monate später noch so anhält. Denn der erste Urlaub ohne Eltern prägt Kinder. Das Einstiegsalter liegt in der Regel bei etwa acht Jahren. „Die meisten Eltern wundern sich, wie schnell und wie weit sich ihr Kind während einer solchen Reise entwickelt. Es gibt durchaus Kinder, denen hat ein zweiwöchiger Aufenthalt im Ferienlager einen Entwicklungsschub gebracht, wie sie ihn sonst nur in einem halben Jahr gehabt hätten“, sagt Stephan Schiller vom Bundesforum Kinder- und Jugendreisen. Dafür gibt es zwar keine Garantie. Aber Eltern können mit der sorgfältigen Auswahl von Reise und Veranstalter selbst die Weichen stellen.

Über 1000 Veranstalter gibt es auf dem Markt, darunter viele kleine. „Dabei bewegen Anbieter aus dem kirchlichen Bereich die meisten Kinder und Jugendlichen. Danach folgen Sportvereine und Spezialveranstalter aus dem Bereich Sport“, sagt Stephan Schiller. Die Angebote von Kinderreisen sind so vielfältig wie die Interessen der Kinder: Lagerfeuerromantik und Pfadfinderstimmung im Zeltlager, Floßbau und Kletterpartie im Abenteuercamp, Quidditch spielen lernen wie Harry Potter, tanzen wie Detlef D! Soost von den Popstars im Kids-Dance-Camp oder Töpfern im Kreativcamp. Es gibt Forscherwerkstätten und Computercamps, Abenteuer im magischen Baumhaus oder ein Steinzeitleben als Höhlenmensch. Für jeden Geschmack ist etwas dabei.
Der Markt für Kinderreisen ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Thomas Korbus, Geschäftsführer von Ruf Jugendreisen, einem der Marktführer, kennt die Trends: „Einerseits geht die Nachfrage hin zur pädagogisch wertvollen Reise mit Sprach-, Sport- oder Bildungskomponenten. Andererseits erfreuen sich auch Camps am Meer steigender Beliebtheit.“ Bei einem guten Kinderreiseprogramm gehe es im Idealfall nicht um die Vermeidung von Langeweile, sagt Korbus, das Programm sollte vielmehr eine regelrechte Dramaturgie verfolgen, bei der die Kinder immer wieder aufs Neue angeregt werden.

Während die Kinder im Ferienlager eine unbeschwerte Zeit genießen, verbringen die Eltern – nicht selten nach Jahren das erste Mal wieder „allein zu Haus“ – oft die eine oder andere schlaflose Nacht.
„Wie Eltern halt so sind“, sagt Iris Quecke, Theresas Mutter, schmunzelnd. Ob T-Shirt und Hose immer supersauber sind oder die Zähne wirklich drei Minuten lang geputzt werden – das darf im Zeltlager auch mal lockerer gehandhabt werden.

Kinder genießen den Freiraum

Über manche Sorge muss auch Iris Quecke im Nachhinein schmunzeln: „Meine Erfahrung ist, dass die Kinder viel besser klarkommen, als wir denken. Sie genießen den Freiraum und das Gefühl, die Verantwortung selbst zu tragen und allein oder zumindest ohne die Eltern Entscheidungen treffen zu können.“

Tochter Theresa war nun schon das dritte Mal mit gleichaltrigen Kindern auf Achse. Beim ersten Urlaub ohne Eltern war sie neun Jahre alt. Der Veranstalter – die Katholische Jugend von Naila in Oberfranken – ist den Eltern bekannt, und das von ihr organisierte Zeltlager genießt einen guten Ruf. Programm und Betreuer wurden bei einem Vortreffen vorgestellt – und von den Eltern für gut befunden. „Wir haben sie deshalb gerne mitfahren lassen. Schließlich ist das gerade für ein Einzelkind eine gute Möglichkeit zu lernen, dass man auch mal zurückstecken muss, um sich in eine Gemeinschaft einzubringen.“

Das sieht Diplom-Psychologe Michael Thiel aus Hamburg ähnlich. „Die erste Reise ohne Eltern ist für Kinder ein Riesensprung in der Entwicklung zur Selbstständigkeit, ein Riesenschritt in Richtung soziale Kompetenz und stärkt unglaublich das Selbstwertgefühl.“ Wer als Kind das Gefühl „Ich schaffe das auch allein“ erlebt habe, der begegne auch später neuen Aufgaben eher mit Offenheit und sei neugierig auf die Welt.

Heimweh ist ein Thema

Klar ist aber auch: Nicht jedes Kind ist ein Huckleberry Finn oder eine Pippi Langstrumpf. Michael Thiel empfiehlt daher, mit dem „Abnabelungsprozess“ eher klein anzufangen. Etwa mit einer Übernachtung bei einem guten Freund oder einem verlängerten Wochenende bei Oma und Opa. „Schon das ist für Kinder ein Riesenabenteuer“, sagt der Psychologe.

Zur Sicherheit, um mögliches Heimweh zu lindern, darf ruhig ein Kuscheltier mit ins Reisegepäck. Als „indirekte Heimwehimpfung“ empfiehlt Michael Thiel den Eltern, ihren Kindern von den eigenen ersten Urlaubserlebnissen zu erzählen und das Thema Heimweh nebenbei anzuschneiden – nach dem Motto: „Als ich das erste Mal alleine verreist bin, habe ich ganz schön was erlebt, aber ich hatte auch mal Heimweh…“ Und natürlich sollte kein Kind bei einer Freizeit angemeldet werden, wenn es nicht selbst möchte.

Allen Eltern, die leise Zweifel haben, ob sie ihr Kind alleine auf Reisen schicken sollen, gibt der Psychologe zu bedenken: „Man bereut oft das, was einen gereizt hat, das man aber nicht gewagt hat. Und das gilt auch für Kinder.“

Eva Stern | Foto: S. Hofschaeger www.pixelio.de | Familie & Co. Sonderheft Urlaub 2009

Originalartikel
Mit freundlicher Genehmigung der Family Media GmbG & Co. KG

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