Große Zukunft für kleine Läden
Nov 3rd, 2009 | By admin | Category: Für Anfänger und Fortgeschrittene
Gewürze und Geschenkpapier, Schuhcreme und Salat, Batterien und Butter. Hier gibt es fast alles, was man so zum Leben braucht. Ein Einkauf im Tante-Emma-Laden.
Tante Emma ist Frühaufsteherin: Sie ist schon seit 4 Uhr morgens auf den Beinen. Pünktlich um 6 Uhr öffnet sie ihr kleines Geschäft in Etschberg, einem Dorf in Rheinland-Pfalz. Dort leben 700 Menschen. Der nächste größere Ort mit einem Supermarkt ist fünf Kilometer entfernt. Das ist weit weg für viele alte Etschberger, die kein Auto haben. Zu weit auch für alle, die beim Kuchenbacken plötzlich merken, dass kein Mehl mehr da ist. Kurz nach 6 Uhr kommen schon die ersten Kunden: Bauarbeiter, die ihr Frühstück kaufen und noch eine Tasse Kaffee dazu. Schüler holen sich auf dem langen Weg zur Schule noch schnell eine Brezel.
Viele Leute denken an die „gute alte Zeit“, wenn sie vom Tante-Emma-Laden sprechen. Tante-Emma-Läden sind kleine Geschäfte, in denen oft nur eine Person arbeitet: eben Tante Emma, die in Etschberg in Wirklichkeit Margot Geiß heißt. Für die 53-Jährige ist ihr Laden nichts Historisches. Er bedeutet vor allem viel Arbeit. Ihr Arbeitstag dauert 16 Stunden. Reich wird sie trotzdem nicht. „Wer Geld verdienen will, der sollte besser keinen Tante-Emma-Laden eröffnen“, sagt sie. Die Waren, die sie für ihr Geschäft kauft, sind teuer. Weil sie nur kleine Mengen kauft, bekommt sie vom Großhändler keinen Rabatt. Und so verkauft sie ihre Waren mit wenig Gewinn zu relativ günstigen Preisen weiter: „Ich möchte, dass sich auch die alten Menschen mit wenig Rente mal ein Stück Kuchen leisten können.“
Geschenkpapier und Schlafanzüge. Milchprodukte und Waschmittel. Gewürze und Shampoo. Fischstäbchen und Gummibärchen. Das ist auf den ersten Blick eine ziemlich bunte Mischung. Aber Margot Geiß hat lange experimentiert, bis sie genau das Sortiment hatte, das ihre Kunden glücklich macht.
Das Phänomen „Tante Emma“ hat viele Facetten. In Städten kauft man inzwischen bei „Onkel Ali“ oder „Bei Olga“ ein: Seit den 80er-Jahren betreiben in vielen Orten Immigranten die Tante-Emma-Läden von früher. Obst und Gemüse vom „Türken um die Ecke“ – das gehört für viele Deutsche zum Alltag. Auf dem Land gibt es neben den traditionellen Dorfläden im Tante-Emma-Stil auch noch sogenannte mobile Verkaufsstellen. 1800 dieser „rollenden Supermärkte“ sind in Deutschland unterwegs, um die Menschen zu versorgen.
Kurz vor Mittag wird es wieder voll im Laden. Margot Geiß kennt ihre Kunden und spricht die meisten mit dem Vornamen an. „Na, Karl, willst du noch ein Stück Wurst mitnehmen?“, fragt sie den alten Mann, den sie schon seit ihrer Kindheit kennt. Karl war früher im Ort der Schuhmacher und hat auch ihre Schuhe repariert. Tante Emma kennt aber nicht nur die Namen ihrer Kunden. Sie weiß, welcher Joghurt dem Werner nicht schmeckt und welches Brot Irene am liebsten isst. Selbstverständlich fährt ihr Mann Karl-Ernst den Einkauf von Lydia bis an die Haustür, wenn sie das möchte. Im Tante-Emma-Laden gibt es neben Milch und Brot auch die neuesten Dorfnachrichten. Wer ist gestorben? Wer hat ein Kind bekommen? Wer liegt im Krankenhaus? Wer ist weggezogen und wer neu im Ort? All das weiß Tante Emma immer zuerst.
Trendforscher prophezeien den kleinen Läden eine große Zukunft. Weil die Kunden genau das wieder wünschen, wofür Tante Emma schon immer steht: nah und bequem in persönlicher Atmosphäre einkaufen. Genau wie das Karl und Lydia schon lange machen im Tante-Emma-Laden von Margot Geiß.
Text und Fotos: Eva Stern | Deutsch perfekt 01/2009
Originalartikel
Mit freundlicher Genehmigung der Spotlight Verlag GmbH