Kompass für Aufschieber
Nov 11th, 2009 | By admin | Category: Rede und Antwort, Sein und WerdenWer ständig Arbeit liegen lässt, kann Dringlichkeit und Wichtigkeit nicht unterscheiden, sagt der Motivationstrainer Stefan Frädrich und erklärt, wie man es besser machen kann.
Störe ich Sie gerade?
Überhaupt nicht. Ich bin nur gerade im Aufzug und muss noch kurz was aus dem Büro holen.
Dann rufe ich in zehn Minuten noch mal an…
Nein, wir wollen ja gar nicht erst anfangen mit dem Aufschieben.
Und jetzt erzählen Sie mir bloß noch, dass Sie nach unserem Gespräch sofort weiterarbeiten, sobald Sie den Hörer aufgelegt haben.
Na klar.
Glückwunsch! Das schaffen nicht viele.
Ja, weil die meisten Leute Dringlichkeit mit Wichtigkeit verwechseln. Es ist doch so, dass viele am Ende des Tages zwar ganz viele ganz dringende Sachen erledigt haben, aber trotzdem nichts wirklich Wichtiges geschafft haben. Sie haben sich ablenken lassen. Sie haben den ganzen Tag nur reagiert statt selbst zu agieren.
Und was raten Sie nun den Aufschiebern dieser Welt?
Ich arbeite gerne mit folgendem Bild: Sie haben die Aufgabe, eine Vase mit Sand, Kieselsteinen und Pflastersteinen zu füllen. Womit fangen Sie an?
Ich fürchte, ich gehöre zur Spezies der Verpeilten und fange mit dem feinkörnigsten Material an, also: Sand, kleine Steine, zum Schluss ein netter Felsen drauf. Fertig ist meine wildromantische Strandidylle.
Ich fange mit den großen Brocken an und lege alle in die Vase. Dann kommen die Kieselsteine dazu und zum Schluss lasse ich den Sand darauf rieseln. Bei diesem Arrangement bleibt nichts übrig. Und es passt sogar noch Wasser in die Vase.
Toll. Sie haben alles verbaut. Aber meins sieht einfach besser aus…
Hm. Das muss ich jetzt so stehen lassen. Was ich damit zeigen will, ist folgendes: Es liegt an uns allein, unsere Aufgaben zu arrangieren; zu definieren, eigenständig zu entscheiden, was wann wo wichtig ist. Nur so verliert man im Dschungel nicht die Orientierung. Leider werden wir während unserer Ausbildung darauf nicht optimal vorbereitet.
Stimmt. Und was machen nun die ohne Kompass?
Aufpassen, dass sie nicht gefressen werden. Im Ernst: Ich muss wissen, was ich überhaupt will, was wichtig ist – und mich dann organisieren. Ich halte nichts von straffen Tagesplänen. Wir sind keine Maschinen. Ich arbeite mit Wochenzielen, definiere sozusagen meine Pflastersteine. Kies und Sand kommen von ganz allein dazu. Mails, Anrufe, neue Aufgaben. Das ist auch völlig in Ordnung. Denn ich muss bei aller Organisation auch flexibel bleiben.
Klingt, als sei es machbar…
Auch der Verpeilteste kann diese Art zu denken und zu handeln lernen. Das geht sogar recht schnell, weil sich bald Aha-Erlebnisse einstellen werden, die einen darin bestätigen, selbst zu denken und aktiv zu werden. Also raus aus der Wiederkäuer-Komfortzone. Werden Sie vom Schaf zum Raubtier.
Das erhöht meine Überlebenschancen im Dschungel sicher. Darf ich trotzdem manchmal Schaf sein?
Bitte. Den puren Aktionismus empfehle ich ja auch nicht. Man braucht zwischendurch immer wieder Zeit zur Reflexion. Man muss sich mal zurücklehnen und schauen: Geht das, was ich mache, auch insgesamt in die richtige Richtung.
Schiebt der Motivator auch unliebsame Aufgaben vor sich her?
Ja, sicher. Unten im Flur wartet zum Beispiel noch ein neuer Balkontisch darauf, dass er zusammengebaut wird. Solange eine Arbeit bei mir liegen bleibt, heißt das, dass sie im Moment auch nicht wichtig ist. Irgendwann werde ich den Tisch brauchen und ihn dann aufbauen. Aber bis dahin mache ich mir deswegen keine Rübe.
Zur Person
Stefan Frädrich promovierte zu einem Persönlichkeitspsychologie-Thema, arbeitete als Arzt in der Ulmer Uni-Psychiatrie, bildete sich zum Betriebswirt (IHK) fort und war in der Geschäftsführung eines mittelständischen Textilhandels tätig. Dann machte er sich als Trainer, Coach und Consultant selbstständig. Bekannt wurde er durch seine Bestsellerbücher („Günter, der innere Schweinehund“, Besser essen – Leben leicht gemacht“), TV-Sendungen (Pro 7, SAT1, WDR, Focus Gesundheit), als Seminar-Entwickler (z. B. Nichtraucher in 5 Stunden“) sowie als Speaker, Referent und Moderator.
Eva Stern | Karriereführer Hochschulen Wintersemester 09/10 | Foto: Daniel Krause
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Originalartikel
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