Richy Müller: Hoffnungsträger Lannert
Dez 26th, 2009 | By admin | Category: Flimmern und Rauschen, Rede und AntwortSchauspieler Richy Müller schätzt seine Unabhängigkeit. An den “Tatort” hat er sich dennoch gebunden. Sein fünfter Fall als Kommissar Thorsten Lannert ist zugleich die 750. Folge der erfolgreichsten deutschen Krimireihe. Ein Gespräch über Ängste und Verzicht, Qualität und Intuition – und warum er lieber ohne Familie Verbrecher jagt.
Mögen Sie keine Familie?
Doch natürlich. Aber nicht als Tatort-Ermittler. Da fehlt die Zeit, um neben dem Fall noch eine Familiengeschichte zu erzählen. Das Ergebnis wäre einfach unbefriedigend. Deshalb habe ich mir einen familiär ungebundenen Kommissar gewünscht.
Aber eine Oma hätte Sie Ihrem Kommissar gerne zur Seite gestellt?
(lacht) Ja, das stimmt. Allerdings wäre eine richtige Oma natürlich Quatsch gewesen. Die hätte dann um die 100 Jahre alt sein müssen, um wirklich Lannerts Oma zu sein.
Aber?
Ich wollte gerne die ältere Generation dabei haben. Wir müssen ja nicht gleich verwandt sein. Das kann man dramaturgisch auch anders lösen. Alte Menschen kommen in Filmen viel zu wenig vor. Oder nur in Filmen, die speziell alte Menschen zum Thema haben. Das ist doch schade. Die Mischung, das Generationenübergreifende fehlt: Dass da jemand ist, der einem einen weisen Spruch mit auf den Weg gibt oder einen an die Hand nimmt. Eben jemand mit Lebenserfahrung, den im positiven Sinne nichts mehr beeindrucken kann. Vom Gefühl her sind das nicht die Eltern, sondern die Großeltern.
Der aktuelle Fall „Altlasten“ beschert Ihnen mit der Figur der Witwe Brise Schubert zwar die gewünschte „Oma“. Allerdings auch die generationenübergreifenden Abgründe. Es geht um Vertrauen und Überforderung, Liebe und Verantwortung, Verlust und Selbstverwirklichung.
Ja, die großen Lebensfragen. Und das Thema Generationenaustausch ist schön getroffen. Alles spielt ganz kompakt in einer Familie. Das ist sehr gelungen. Und dann noch mit so einer entzückenden Kollegin wie Bibiana Zeller, die mit ihren 82 Jahren beim Drehen so eine Power an den Tag gelegt hat. Das war sehr beeindruckend. Ich finde, es ist wirklich ein besonderer “Tatort” geworden und er passt auch in die besinnliche Zeit. Das war Super-Timing.
Sie haben keine Angst vor dem Alter?
Nein. Auch wenn irgendwann das Thema Tod immer präsenter wird. Jeder Tag könnte der letzte sein. Ab einem gewissen Alter beschäftigt einen das natürlich.
Sie sind 54 Jahre.
Selbst wenn ich 100 Jahre alt werden sollte, ist das jetzt schon die zweite Halbzeit. Ich habe keine Angst vor dem Alter und auch nicht vor dem Tod. Höchstens vor dem Sterben. Ich hoffe, dass ich gesund sterbe. Ich akzeptiere den Tod als Teil des Lebens. Wenn man das verdrängt und plötzlich merkt: Kinder, jetzt ist es bald vorbei!, kommt die Panik.
Haben Sie vor gar nichts Angst?
Doch klar. Ich bin ja nicht der Dalai Lama. Da sind zum Beispiel die üblichen Ängste um die Kinder. Dass sie gesund bleiben, ihnen nichts zustößt. Das ist ganz normal. Ängste sind auch wichtig. Aber wenn man zu viele Angst hat, ist man ja fast beschwörend. Insofern bin ich relativ angstfrei unterwegs.
Vor allem im Auto. In der ersten “Tatort”-Folge als Kommissar Lannert geben Sie ganz schön Gas.
Ja, als es um die Schnelligkeit ging. Zerlegt wurde das Auto aber dann von Stuntmen. Was ich meine, ist, dass man sich nicht in Ängste hineinsteigern darf. Wenn man Angst zum Maßstab nimmt, dürfte man ja gar nichts mehr machen. Man kann sich relativ schnell in eine Phobie hineindenken.
Wie ist es mit der Angst vor Vereinnahmung oder Festlegung auf eine bestimmte Rolle?
Das kann mir nicht nochmal passieren. Dafür bin ich schon viel zu lange im Beruf und losgelöst von irgendwelchen Etiketten. Das einzige Etikett, was mir anhängt, ist das des “Richy”.
Dessen Namen Sie ja auch tragen.
Ja. Aber nicht, weil ich mir den bewusst ausgesucht hätte. Eher umgekehrt. Nach der Ausstrahlung der “Großen Flatter” 1979 war ich für alle einfach “der Richy”. Die drei Folgen haben über 22 Millionen Menschen gesehen. Das war ein Straßenfeger. Irgendwann kam dann die Überlegung, dass das auch offiziell mein neuer Vorname werden könnte.
War der richtige denn so schlimm?
Naja, wenn du in der Schauspielschule bist und Hans-Jürgen Müller heißt, machst du dir natürlich so deine Gedanken.
“Thorsten Lannert” ist für Richy Müller aber keine Gefahr?
Nein. “Bist du nicht der Thorsten Lannert?”, werden mich wohl nur wenige fragen. Etwas anderes ist es natürlich, wenn man seine Karriere als “Tatort”-Kommissar beginnt. Das kann schon sehr festlegen.
Die Zusage zum “Tatort” war die erste feste Verpflichtung in Ihrer Karriere …
… und eine der schnellsten Zusagen, die ich je gegeben habe.
Warum?
“Tatort” ist Kult. Und “Tatort” heißt Qualität. Jeder, der für diese Reihe dreht, weiß das. Gute Autoren schreiben gute Bücher, die von guten Regisseuren mit guten Schauspielern verfilmt werden. Wenn man da nicht “Ja” sagt. Klar war es ein Sprung ins kalte Wasser, vor allem wenn man über 30 Jahre lang freiberuflich gearbeitet hat.
Jetzt sind schon sechs Folgen im Kasten. Immer noch so begeistert?
Ja, ich bin wirklich überglücklich. Die Reaktionen der Leute sind sehr positiv. Die Arbeit mit meinem Partner Felix Klare macht einfach Spaß. Und ich habe das Gefühl: Ich bin guten Händen. Die Macher wollen diese Eigenenergie, nicht nur jemanden, der eine Rolle spielt. Das ist so ein bisschen wie mit Michael Schumacher bei Ferrari. Der war nicht nur ein schneller Rennfahrer, sondern hatte die Begabung, die Ressourcen, die es bei Ferrari gab, zu ordnen. Nicht unbedingt aus deutscher Ordentlichkeit, sondern einfach, weil er die Leute mit seiner Begeisterung für den Sport angesteckt und in die Pflicht genommen hat. Er hat sein Bestes gegeben und von den anderen das Beste verlangt. Der “Tatort” ist auch so ein gegenseitiges Qualitätsversprechen.
Welche Qualitäten hat Thorsten Lannert?
Zuallererst: Er leidet nicht unter seinem Beruf. Wer will denn einen “Tatort”-Kommissar sehen, der permanent Schmerz verspürt über die Schlechtigkeit dieser Welt? Das will man nicht. Ich wollte jemanden darstellen, der das mit Überzeugung macht und den Versuch startet, Ordnung reinzubringen, indem er Gerechtigkeit walten lässt. Der trotz aller schlimmen Dinge nicht den Mut verliert. Lannert ist ein Hoffnungsträger.
… und wie Sie ein Bauchmensch.
Lannert vertraut seiner Intuition. Im Zweifelsfall handelt er auch gegen die Vorschriften. Das stärkste Moment bei mir in der Arbeit ist die Zurückgenommenheit. Dadurch kommt, glaube ich, mehr zum Vorschein: eben die Figur und nicht der Schauspieler. Schauspieler ist eigentlich sowieso das falsche Wort. Ich spiele nicht, ich mache keine Schau. Ich bin. Ab und zu werde ich gefragt, ob ich nicht Schauspielunterricht geben könnte. Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, was ich den Schülern sagen sollte. Ich spiele sehr intuitiv. Ich beobachte und erspüre den Moment – und lass es laufen. Das ist alles.
Ruhen Sie im richtigen Leben auch so in sich selbst?
Ich bin nach wie vor ein impulsiver Mensch und kann mich auch über Kleinigkeiten richtig ärgern, wo man eigentlich großzügig drüber hinweg sehen müsste. Gedankenlosigkeit regt mich auf. Grundsätzlich bin ich jemand, der nicht festhält oder klammert. Ich habe keinen Besitzanspruch – gerade was Menschen angeht. Menschen gehören einem nicht. Ich habe zum Beispiel nie von “meiner Tochter” gesprochen, sondern immer nur von Paulina.
Auf was könnten Sie denn nicht verzichten?
Eigentlich könnte ich auf alles verzichten. Außer auf gute Menschen um mich herum. Ich fahre liebend gerne Auto. Das ist kein Geheimnis. Man sagt ja immer, ein Drittel des Lebens verbringt man im Bett. Ich glaube, ich sitze das zweite Drittel im Auto. Aber: Ich könnte auch auf das Auto verzichten, wenn es sein müsste. Das ist schwer zu erklären. Es ist einfach die Überzeugung, keinen Besitz haben zu müssen. Den Moment wahrnehmen, das ist für mich wichtig. Ich bin nicht luxusabhängig. Ich kann mich bescheiden, wohne zur Miete.
Mit den “Tatorten” im Rücken lebt es sich aber schon gelassener?
Keine Frage. Wenn keine guten Angebote kommen, dann reichen die zwei “Tatorte” im Jahr, die ich drehe. Ich habe die Möglichkeit zu sagen: Nee, das mach’ ich nicht, die Rolle interessiert mich nicht. Wenn, dann würde ich es nur des Geldes wegen machen.Und das habe ich noch nie gemacht. Auch in der Zeit, in der ich Geld dringend gebraucht hätte. Ich musste manchmal ganz schön jonglieren. Aber es hat sich für mich rentiert, weil ich auf meinem Weg geblieben bin. In meiner ganzen Laufbahn habe ich es fast immer hingekriegt, nur das zu machen, was mich interessiert hat. Daran hat sich durch die “Tatort”-Verpflichtung nichts geändert.
Bei aller Bescheidenheit: Weihnachten sitzen Sie nicht allein zu Hause und üben sich in Verzicht?
Nein. Es wird gefeiert. Mit allem, was dazu gehört. Baum, Braten, Bescherung. Und das Allerwichtigste: mit meinen beiden Kindern.
Und am 27. Dezember versammelt sich die Familie um 20.15 Uhr zum “Tatort” vor dem Fernseher?
Mal sehen. Kann schon sein. Es ist ja ein Riesenunterschied, ob man sich die DVD im Rechner anschaut oder wirklich am Sonntagabend mit Millionen anderer Zuschauer vor dem Fernseher sitzt. 20 Uhr Tagesschau, 20.15 Uhr “Tatort”. Das ist ein Ritual. Das hat einfach was.
Zur Person: Richy Müller
Richy Müller (eigentlich: Hans-Jürgen Müller), 54, hatte seinen Durchbruch als Schauspieler 1979 mit der Leonie-Ossowski-Verfilmung “Die große Flatter”. Danach spielte er unter anderem in Roland Emmerichs “Das Arche Noah Prinzip”. In den 1980er Jahren verlegte sich der gebürtige Mannheimer vorwiegend auf das Theater, ehe er 1996 zum Film zurückkehrte. Seit 2008 spielt er den Stuttgarter “Tatort”-Kommissar Thorsten Lannert – die erste feste Verpflichtung seiner Laufbahn. Richy Müller lebt am Chiemsee.
Eva Stern | Fotos: SWR/Sabine Hackenberg, Stephanie Schweigert, Peter A. Schmidt (2)