Marie-Luise Marjan: Mutter Beimer der Nation

Dez 14th, 2010 | By | Category: Flimmern und Rauschen, Rede und Antwort

25 Jahre Lindenstraße: Ausgerechnet beim gemeinsamen Kochen, mit dem sie an frühere Zeiten anknüpfen wollen, geraten sich Helga (Marie-Luise Marjan) und Ex-Mann Hans (Joachim H. Luger) in die Haare. (Foto: WDR/Martin Menke)

“Das kann man nicht spielen, das muss man leben”, sagt Marie-Luise Marjan über ihre Rolle als Helga Beimer in der ARD-Seifenoper Lindenstraße. Mittlerweile lebt die neue “Mutter der Nation” ihr Alter Ego, das sie seit 25 Jahren verkörpert, so gut, das sie über die Kunstfigur mal in der dritten, mal in der ersten Person spricht.

Frau Marjan, stört es Sie, wenn Sie mit Helga oder Mutter Beimer angesprochen werden?
Das sagt fast keiner mehr zu mir. Das war in den Anfangsjahren sehr viel stärker. Die Leute wissen, dass ich Marie Luise Marjan heiße und verbinden mit meinem Namen vor allem mein soziales Engagement.

Wie weit geht Ihre Identifikation mit Helga Beimer?
Ich bin in erster Linie Schauspielerin, die eine Rolle spielt. Und Helga Beimer ist eine von Autoren erfundene Kunstfigur. Die Mutter einer bürgerlichen Familie. Herr Geißendörfer hat diese Rolle besetzt und hat wohl auch den richtigen Griff getan, wie man sieht.

Hat man zu einer Dauerrolle wie in der Lindenstraße kein anderes Verhältnis als zu einer Rolle in einem Fernsehfilm, der nach drei Monaten im Kasten ist? Mutter Beimer führt ja nun schon seit 25 Jahren jeden Sonntag ein Familienleben vor Millionenpublikum.
Das ist ja eigentlich schon der Schlüssel, weshalb ich sage: Ich muss diese Figur leben.

Können Sie das näher erklären?
Trauer zum Beispiel, die kann ich nicht spielen. Das muss ich sein, in diesem Moment. Ich habe das an mir auch beobachtet. Als Benni, der Sohn, gestorben ist, ging die Trauer über ein halbes Jahr. Und das wirkte sich schon auch auf mein Privatleben aus. Ich hatte nicht mehr so Lust auf große Feiern, auf laute Feiern. Man liest mehr. Man geht mehr spazieren. Man igelt sich im Grund genommen schon ein bisschen ein in den Zustand, den man braucht für so einen Part über eine so lange Zeit.

Das geht ziemlich weit …
Ja. Aber meiner Meinung nach muss das so sein. Sonst ist man kein guter Schauspieler. Natürlich gibt es auch Kollegen, die auf Kommando traurig sein können. Ich halte da nichts davon. Ich finde, man muss diesen Zustand für sich selbst erst einmal vorbereiten, um etwas ausstrahlen zu können.

Mutter Beimer können Sie aber immer wieder abstreifen?
Ja, wenn ich im Theater Lady Macbeth spiele, nehme ich die ja auch nicht mit nach Hause. Und bei Helga Beimer ist das nun nicht so schwer. Die bringt ja niemanden um.

Finden Sie es schade, in der Mutter-Schublade zu stecken?
Helga Beimer ist keine Schublade! Die hat so viele Facetten und sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Sie hat die Aufgabe, Kinder zu erziehen, Jugendliche auf den Weg zu bringen. Was soll mich denn an der Rolle der Hausfrau und Mutter nerven? Das ist eine ehrenvolle Aufgabe. Und im Gegenteil: Gerade in der heutigen Zeit zu zeigen, dass da Werte liegen, ist ganz wunderbar.

Warum trifft Mutter Beimer so ins Herz?
Ich denke, das hat was mit meiner Ausstrahlung zu tun. Aber das müssen Sie andere fragen. Ich kann ja nicht ständig meine eigene Ausstrahlung loben.

Woher kommt die? Die Mutterrolle ist eine berufliche Rolle geblieben.
Ja, aber das macht nichts. Das ist eine Typfrage. Es gibt Frauen, die haben eben dieses Runde, Warme, dieses Sich-anlehnen-dürfen in ihrer Ausstrahlung. Da ist es doch wurscht, ob die im wirklichen Leben Kinder haben oder nicht. Frau Merkel hat auch keine Kinder, hat aber irgendwas Mütterliches, finde ich.

Fühlen Sie sich nicht doch von der Rolle der Helga Beimer vereinnahmt?
Von der Rolle weniger. Aber von dem ganzen Drumherum. Auftritte, Interviews und so was. Das fing ja damit an, dass wir die Lindenstraße am Anfang erst einmal durchboxen mussten. Die Kritiken waren nicht so besonders.

Aber die Lindenstraße hat sich durchgesetzt und gehalten. Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Die Lindenstraße war eben nicht Denver oder Dallas, sondern es ging und geht um Menschen wie du und ich. Das Publikum hat uns und auch die völlig neue Dramaturgie der Serie gleich akzeptiert. Und dann sind da natürlich die Themen, die wir anpacken. Das geht über den Alltag hinaus und hat schon wieder was mit Kunst und Fernsehspiel zu tun. Wir fassen alle politischen und gesellschaftlichen Themen an, sei es nun der Krieg in Afghanistan, die Fußballweltmeisterschaft oder Gewalt in der Ehe.

Sie sagen, Sie können zu Ihrer Rolle professionell Distanz halten. Können das die Fans auch?
Ja. Und die Anteilnahme der Fans ist sehr schön. Es gibt viele Fanclubs und nach wie vor jede Menge Post und Reaktionen auf das Schicksal der Lindenstraßen-Bewohner.

Plaudern Sie ein bisschen aus dem Nähkästchen?
Ich kann mich noch gut an die Briefe erinnern, die ich bekam, als es mit Klausi so viele Probleme gab, er gelogen und betrogen hat. Da haben mir ganz viele Menschen geschrieben.

Um Ihnen beizustehen?
Weil sie Rat wollten. Da waren kurioserweise viele alleinstehende Väter, die geschrieben haben, sie hätten mit ihren Söhnen ähnliche Probleme, und ob ich ihnen einen Tipp geben könne. Und das habe ich gemacht. Oder die Scheidung von Hans. Dagegen haben die Leute regelrecht demonstriert. Das hat sie in ihrer eigenen heilen Welt erschüttert. Die wollten das nicht. Und manche denken heute noch, ich sei mit Hans verheiratet. Obwohl ich schon seit 18 Jahren mit Erich zusammen bin.

Hausfrau, Mutter, Geliebte, Geschäftsfrau. Was kommt noch auf Helga Beimer zu?
Gerade durchlebt sie ja wieder einen Wandel. Helga ist Rentnerin.

Sie sagen das voller Begeisterung …
Klar. Jetzt beginnt das Leben so richtig.

Sie wollen es richtig krachen lassen?
Wenn’s nach mir ginge, schon. Jetzt, wo Erich und ich endlich Zeit haben, könnten wir doch eine Rentnerband gründen und Musik machen. Wissen Sie was? Das schlage ich den Drehbuch-Autoren vor!

Sie sind 70 Jahre alt. Haben Sie noch Lust auf anstrengende Tage am Set?
Die Arbeit ist auch nicht anstrengender als vor 20 Jahren. Und wie gut ich bin, hängt ja nicht nur von mir ab. Alleine können Sie nie gut sein. Das ist wie beim Tennis. Wenn der Partner einen schlechten Ball schlägt, können Sie keinen guten zurückspielen.

Zur Person: Marie-Luise Marjan
Die Rolle der Mutter scheint Marie-Luise Marjan auf den Leib geschrieben. Bereits in ihrem ersten Fernsehfilm „Untergang der Freiheit” spielte sie eine Mutter – mit gerade mal 19 Jahren. Es folgten 26 weitere Mutterrollen im Fernsehen wie auf der Bühne. Marjan selbst war gleich nach ihrer Geburt von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben worden und wuchs bei Pflegeeltern auf. Eigene Kinder hat die Schauspielerin nicht. Für ihr soziales Engagement – insbesondere für das Kinderhilfswerk Unicef und Plan International – erhielt sie das Bundesverdienstkreuz.

Eva Stern | Foto: WDR/Martin Menke

Tags: , , , ,

© Eva Stern