Sybille Waury: Will man wirklich Tanja Schildknecht sein?
Dez 12th, 2010 | By admin | Category: Flimmern und Rauschen, Rede und AntwortMillionen Menschen kennen Sybille Waury als Tanja Schildknecht aus der “Lindenstraße”. Die Berlinerin ist seit 25 Jahren dabei. Im Interview erzählt die Schauspielerin, warum die Rolle in der TV-Soap gut für ihre Ehe ist.
Frau Waury, Sie sind mit 15 Jahren bei der “Lindenstraße” eingestiegen und vor einem Millionenpublikum Erwachsen geworden. Wie hat Sie diese Erfahrung beruflich und privat geprägt?
Schwer zu sagen, ich weiß ja nicht, wie es ohne die “Lindenstraße” gewesen wäre. Was den Stress betrifft: Das hielt sich in Grenzen.
Die Arbeitsbelastung ist die eine Sache. Die andere Frage ist: Will man wirklich Tanja Schildknecht sein? Sie stolpert und zickt sich durchs Leben und lässt dabei kein Drama aus. Sympathiepunkte bringt das jedenfalls nicht.
Als Schauspielerin bin ich mit der Figur absolut glücklich. Die hat so bekloppte Züge. Das ist, als würde ich zehn Rollen spielen. Jedenfalls habe ich nie das Gefühl, immer das Gleiche zu spielen. Das ist schon schräg, wenn man das Drehbuch liest und weiß, der eigenen Figur passiert was ganz Schreckliches und man selber freut sich ganz furchtbar: Die bekommt eine totale Psychose. Super! Und noch einer, der sie hasst. Klasse! Oder man darf heulend zusammenbrechen und steht hinterher ganz entspannt auf, weil es Spaß gemacht hat. Meinem Mann fiel auch irgendwann auf, dass es ganz gut ist, wenn ich mich als Tanja beim Drehen austoben kann. Tanja motzt rum und sagt immer, was sie denkt. Das scheint mich in gewisser Weise zu einem ausgeglicheneren Menschen zu machen.
Was sagen denn die Leute auf der Straße. Irene Fischer alias Anna Ziegler wurde bespuckt und beschimpft, als sie Helga ihren Hansemann ausgespannt hat …
Klar wird man mit der Rolle in Verbindung gebracht. Als 15-Jährige nervt einen das natürlich viel eher. Aber da hatte ich Glück: Mich hat keine Sau erkannt. Tanja war immer extrem geschminkt und aufgemotzt. Die hatte so eindeutig gar nichts mit mir zu tun, dass da keine Verwechslungen möglich waren.
Und heute?
Ist es immer noch oft so, dass mich die Leute ansprechen und sagen: Wissen Sie, dass Sie der Tanja Schildknecht wahnsinnig ähnlich sehen? Dann sage ich manchmal: Ja, stimmt. Total ähnlich. Meistens werde ich tatsächlich an der Stimme erkannt. Irgendwie ist meine Stimme wohl markanter als mein Gesicht.
Wollen Sie nicht berühmt sein?
Ich habe mich damit abgefunden und denke nicht mehr darüber nach. Wo ich erkannt werden muss, werde ich auch erkannt. Ansonsten ist es sehr schön, mit meinen Kindern unerkannt durch Berlin laufen zu können.
Und wie wirkt es sich im Beruf aus, wenn alle bei Sybille Waury erst einmal an Tanja Schildknecht denken?
Meine Lieblingszeit war eigentlich, als ich als Tanja gerade im Begleitservice gearbeitet habe und parallel dazu den Käpt’n-Blaubär-Club moderiert habe. Das hat keiner zusammengekriegt. Ansonsten ist “Lindenstraße” schon eher was, weswegen man keine anderen Rollen bekommt. Oft denken die Leute, dass man durch die Serie so eingebunden ist und keine Zeit für andere Sachen hat.
Haben Sie schon mal ans Aufhören gedacht?
Nein. Der Beruf ist ja auch einfach super. Ich komme dahin. Mir werden die Klamotten hingelegt. Ich werde geschminkt. Ich genieße dieses mein-Leben-an-der-Kasse-abgeben-und-jemand-anders-Spielen sehr. Ich finde, sich um das eigene Leben zu kümmern, ist schon anstrengend genug. Es ist klasse, wenn mir jemand sagt, was ich anzuziehen habe und was ich zu sagen habe.
Gibt es ein Berufsleben neben der “Lindenstraße”?
Nein, im Moment läuft gar nichts nebenher. Das ist wie ein großer Fluch und hängt wahrscheinlich auch mit dem Alter zusammen. Mit 25 kriegt man einfach mehr Rollen als mit 40. Ich wäre froh, wenn ich wüsste, woran es liegt.
Würden Sie denn gerne mehr machen?
Ja, klar.
Was würde Sie denn reizen?
Comedy hat was sehr Verführerisches. Ich würde eher so in der Abteilung “Danni Lowinski” mitmachen wollen als im “Tatort” zu morden. Drama gibt es in der “Lindenstraße” ja ohne Ende. Wenn ich eines gelernt habe, dann ist es weinen.
Eva Stern | Foto: Lindenstraße
erschienen bei: stern.de