Latein ist nicht Latein

Mrz 16th, 2011 | By | Category: Sein und Werden

Er kam, sah und wechselte das Studienfach. Beim Blick in die Studien- und Prüfungsordnungen entgleiten manch hoffnungsfrohem Bildungsaspiranten die Gesichtszüge: Lateinkenntnisse als Voraussetzung für den Abschluss des Studiums? Die werden nach wie vor in einigen Fächern verlangt. Auch wenn viele dachten, das hätte sich auf wundersame Weise mit Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge erledigt.

„Das ist ja keine Schikane. Man benötigt für bestimmte Fächer einfach Lateinkenntnisse. Wer zum Beispiel Geschichte studiert, kann nicht sagen, ich brauche kein Latein. Urkunden sind nun mal lateinische Quellen. Und die sollte man lesen und verstehen können“, sagt Franz Martin Scherer vom Seminar für Klassische Philologie an der Universität Heidelberg. Zwar gibt es keinen verbindlichen Katalog an Studienfächern, die Lateinkenntnisse voraussetzen. Die Unterschiede zwischen den Universitäten sind enorm. Und selbst an ein und derselben Universität können die Anforderungen je nach gewünschtem Abschluss variieren. Aber für das Studium der Philosophie, der Deutschen Philologie, der Romanischen Philologie, der Archäologie, der Geschichte oder der Theologie und Religionswissenschaft sind an vielen deutschen Hochschulen irgendwann im Studienverlauf Lateinkenntnisse erforderlich. Weitere heiße Kandidaten sind generell alle (kultur)historischen Fächer wie Musikwissenschaft und Kunstgeschichte, bisweilen aber auch Anglistik. „Überrascht sind aber nach wie vor zahlreiche Studierende darüber, dass sie für Medizin, Zahnmedizin und Rechtswissenschaft kein Latinum benötigen“, sagt Bernhard Einig von der Abteilung Studium und Lehre der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
Die Vereinheitlichung des europäischen Hochschulbetriebs im Zuge der Bologna-Reform haben viele Universitäten genutzt, die Studienordnungen zu entrümpeln. „Wir haben explizit und mit Nachdruck darauf geachtet, dass nur in solchen Fällen Sprachkenntnisse verlangt werden, wo diese für das erfolgreiche Absolvieren des Studiums zwingend erforderlich sind. Das gilt für die alten Sprachen genau so wie für neue, moderne Fremdsprachen“, betont Einig. Und auch die Universität Heidelberg bestätigt, dass mit der Umstellung von Magister und Diplom auf Bachelor die Zahl der Studiengänge zurückgegangen ist, die Lateinkenntnisse oder das Latinum verlangen. „Die Anforderungen in Latein sind zurückgegangen; bis auf wenige Ausnahmen reicht der Nachweis geringerer Kenntnisstufen als vor der Reform“, heißt es dazu aus der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.
Wie so oft, steckt der Teufel im Detail. Angehende Studenten sind deshalb gut beraten, die Studien- und Prüfungsordnungen genau unter die Lupe zu nehmen. Werden Grundkenntnisse, vertiefte Lateinkenntnisse oder das Latinum verlangt und wie sind diese Anforderungen definiert? Wie und bis wann muss man sie nachweisen: durch Klausuren während des Studiums, eine universitätsinterne Prüfung, eine bestimmte Anzahl nachgewiesener „Lateinjahre“ in der Schule, das Abiturzeugnis oder – dementsprechend – die staatliche Ergänzungsprüfung? Gibt es Alternativen, die Latein ersetzen könnten, eine moderne Fremdsprache etwa? Werden Lateinkenntnisse in jedem Fall verlangt oder nur bei der Wahl bestimmter Schwerpunkte innerhalb eines Faches? Bestehen unterschiedliche Lateinanforderungen für die möglichen Abschlüsse Bachelor, Master oder Lehramt oder für Haupt- und Nebenfach? Auf Nummer sicher geht, wer sich Auskünfte von den jeweiligen Fachstudienberatern schriftlich geben lässt.
„Das Thema Lateinkenntnisse spielt in Beratungsgesprächen – vor allem in den Geschichts- und Kulturwissenschaften – immer noch eine große Rolle“, sagt Peter Hell, Studienberater an der Universität des Saarlandes. Kein Wunder: Fehlende Fremdsprachenkenntnisse erwirbt man nicht mal so nebenbei. Der Arbeitsaufwand ist enorm und wird gern unterschätzt. Hell empfiehlt, möglichst schon im ersten Semester oder sogar vor Studienbeginn mit einem Sprachkurs zu beginnen. Denn in einigen Studiengängen ist der weitere Studienfortschritt etwa ab der Mitte des Studiums vom Nachweis der erbrachten Lateinkenntnisse abhängig. Außerdem muss man die Latein-Prüfungen unter Umständen wiederholen. Die Exmatrikulation wegen Überschreitens der Studienzeit müssen Nachholer zwar nicht befürchten, weil in vielen Fällen ein „Sprachbonus“ von bis zu zwei Semestern gewährt wird oder für bestandene Sprachprüfungen Credit Points vergeben werden, die als Studienleistung anerkannt werden. Aber jedes Semester mehr kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld – insbesondere in Ländern, die Studiengebühren erheben wie Baden Württemberg.
„Für die Hochschulbildung ist sehr viel getan, wenn man das Latinum bereits in der Schule erwirbt. Das kann man nicht oft genug betonen“, sagt Wolfram Brinker vom Seminar für Klassische Philologie an der Universität Mainz. Widersprechen wird ihm da wohl niemand.

Eva Stern | Foto: M.E./Pixelio.de

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