Maya Götz: Jugendliche wollen groß rauskommen

Mai 7th, 2011 | By | Category: Flimmern und Rauschen

Einmal bloßstellen, bitte! Millionen Kinder und Jugendliche sitzen gebannt vor dem Fernseher, wenn die angeblichen Superstars und Topmodels von morgen gecastet werden – und sich dabei nicht selten bis auf die Knochen blamieren. Warum sind Castingshows ein Quotenhit? Fragen an die Medienwissenschaftlerin und -pädagogin Maya Götz.

Frau Götz, Kinder und Jugendliche tragen ganz maßgeblich zum Quotenerfolg von Formaten wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Germany’s Next Topmodel“ bei. Sie haben in einer Studie nach den Motiven der jungen Zuschauer gefragt. Bitte klären Sie uns auf.
Gerne. Dass das Format so groß werden konnte, hängt mit einem gesamtgesellschaftlichen Trend zusammen. Wir bemerken im Prinzip schon seit 13-14 Jahren einen Wertewandel bei den Jugendlichen. Am Anfang dachten wir: Die Jugendlichen werden konservativer, setzten auf Sicherheit. Mittlerweile wissen wir, dass das so nicht stimmt.

Sondern?
Sie haben Zukunftsangst. Das ist im Prinzip die erste Generation, die erahnt, dass sie den Status ihrer Eltern nicht mehr erreichen wird. Die Gefahr zu scheitern oder gar nicht erst in den Arbeitsmarkt reinzukommen, ist groß. Die wollen aber alle einen ganz tollen und sicheren Beruf, der sie erfüllt und viel Geld bringt, sie wollen ganz groß rauskommen. Sie wissen nur nicht, wie das geht. Und sie wissen, dass Schule ihnen das nicht beibringen wird.

Und da hilft Dieter Bohlen weiter?
So stellen sich Jugendliche das vor. Castingshows sind für sie wie eine Art Lernmaterial: So werde ich erfolgreich im Leben. Hier bekommen sie Anweisungen, wie man es schafft, zu einem statushohen Beruf zu kommen. Wenn wir sie fragen, was sie aus so einer Show für sich mitnehmen, antworten sie zum Beispiel: „Man muss lernen, Kritik zu ertragen, immer kämpfen für sein Ziel, immer ehrgeizig sein – oder auch: niemals gegen Herrn Bohlen sprechen.“

Anpassen, anstrengen und im richtigen Moment die Ellenbogen ausfahren: Das nehmen sie 1:1 aus der Show mit. Bemerken sie die Inszenierung dahinter?
Ganz lange haben sie die Inszenierung überhaupt nicht in Frage gestellt. Mittlerweile sind einige Sachen in der Öffentlichkeit bekannt. Aber die Macher sind immer besser geworden. Das sind so perfide Inszenierungen…

Zum Beispiel?
Es werden Menschen gesucht und als Material benutzt, um eben Verlierer oder Hoffnungsträger zu produzieren. Kameraperspektiven, eingespielte Animationen, Musik, Schnitt. Es wird nichts dem Zufall überlassen. Loser sind nicht Loser, weil sie Loser sind, sondern weil wir sie dafür halten sollen. Da werden unter die Bewegungen eines 17-jährigen Mädchens Schmatzgeräusche geschnitten. Das macht sie eklig. Und Herr Bohlen spricht dann genau das aus, was der Zuschauer durch die Inszenierung vorher schon gedacht und gefühlt hat. Und alle denken: Das musste ihr auch mal jemand sagen! Die Details der Inszenierung erkennen Erwachsene genauso wenig wie Kinder und Jugendliche. Aber selbst, wenn all das bekannt wäre, würde es die Jugendlichen nicht davon abhalten sich sicher zu sein, dass hier gezeigt wird, wie man erfolgreich wird. Das ist ja das, was das Format nachzeichnet: Ich verfolge junge Menschen, scheinbar wie du und ich, auf ihrem Weg nach oben oder beobachte, wie sie scheitern. Ich kann mich mit ihnen freuen, sie bewundern oder über sie ablästern.

Mitfiebern und hinterher lästern: Das sind die Gründe, Castingshows einzuschalten?
Ja. Das sind die Hauptmotive. Das ist am nächsten Tag das Thema auf dem Schulhof. Bei Germany’s Next Topmodel kommen noch ästhetische Aspekte dazu, also einfach der Spass, schöne Menschen anzusehen. Oder der praktische Nutzen: Wie schminke, style und bewege ich mich richtig, wie setze ich mich in Szene? Natürlich ist es für die Zuschauer auch spannend, wer weiter kommt und ob man mit seiner eigenen Einschätzung richtig lag.

Machen sich die Jugendlichen Gedanken über die Kandidaten, die da zum Teil sehr erbarmungslos vorgeführt werden?
Das haben wir in der Befragung nicht explizit erhoben, wollen den Aspekt aber in diesem Jahr angehen. Was feststeht: Diese Formate sind deshalb so erfolgreich, weil ich als Zuschauer immer der Held bin und mich so unheimlich gut fühle: Ich ahne, wer weiter kommt. Und das bestätigt sich dann meist. Ich kann andere abwerten. Ich kann mich reinfühlen. Am Ende kann ich sogar entscheiden. Ich gehe eigentlich immer mit einem richtig guten Gefühl aus der Sendung raus und muss niemals drüber nachdenken, wie es diesen Menschen geht. Wie die in ihrem Alltag weiterleben. Wie die sich fühlen, wenn sie das noch einmal sehen. Es sind die Loser und ich bin mir ja so sicher, dass sie das verdient haben. Nach unten durchzutreten, gibt ein gutes Gefühl. Gerade in einer Gesellschaft, in der Jugendliche so viele Ablehungs- und Versagenserfahrungen machen, insbesondere als Hauptschüler. Dazu habe ich auch noch was fürs Leben gelernt und dann noch die markigen Sprüche für den Schulalltag: Das hat für Jugendlichen einen hohen Gebrauchswert.

Verändern Castingshows die Sicht auf sich selbst oder andere, können sie Zuschauer wirklich beeinflussen?
Ich denke ja.

Woran erkennen Sie das?
Es gibt verschiedene Indizien: 2006, genau bevor Topmodel das erste Mal auf Sendung ging, waren in der einer Studie über 70 Prozent der Mädchen mit ihrem Gewicht zufrieden. 2009 war jede Zweite nicht mehr zufrieden, obwohl sich am Gewicht nichts geändert hatte. Das ist eine drastische Zunahme der Unzufriedenheit. Die Mädchen geben in unserer Studie auch an, dass sie ihren Körper kritischer betrachten, mehr aufs Gewicht achten, sich anders bewegen. Jedes Mädchen weiß mittlerweile, wie man die Beine richtig kreuzt. Und sie beschreiben auch, dass es durchaus üblich ist, das auf Kindergeburtstagen nachzuspielen, mit allen Inszenierungsmomenten: Drei sind die Jury und dann geht’s los. Interessant ist, dass die Kinder und Jugendlichen Dieter Bohlen und Heidi Klum durchaus kritisch sehen und Entscheidungen und Wertungen im Einzelfall auch als unfair empfinden. Was aber hängen bleibt, ist bei Topmodel der ganz kritische und an absoluten Ausnahmeerscheinungen geschulte Blick auf Schönheit und den eigenen Körper und bei DSDS, dass es scheinbar völlig in Ordnung ist, Kritik zu üben, die richtig tief verletzt. Die harte Kritik von Dieter Bohlen kommt vor allem bei den Jungen sehr gut an.

Haben Castingshows auch positive Seiten?
Eines muss man sich klar machen: Etwas, das dauerhaft so hohe Quoten hat, bringt Jugendlichen ganz viel, sonst würden sie es nicht gucken. Aus der Erwachsenenperpektive ist es einfach zu sagen, das taugt alles nichts. Aber Jugendliche ziehen da für sich ganz viel raus. Die Milieus, die gezeigt werden, sind viel dichter an der Realität als viele andere Sendungen. Zum anderen werden soziale Muster gezeigt: Wie verhalte ich mich in der Gruppe? Da geht es um Schlagworte wie Fairness, Kooperation und Konkurrenz. Das nehmen sie schon mit. Und an vielen Stellen fragen sie sich auch: Wie würde ich mich da verhalten? Würde ich mich zum Beispiel nackt fotografieren lassen? Wie weit würde ich gehen? Hätten Heidi oder Dieter das zu mir sagen dürfen? Das ist nichts anderes als Identitätsarbeit. Sie klären für sich: Wer bin ich? Wenn wir dann aus der Perspektive der Bildungsoberschicht auf diese Formate und die Zuschauer herabschauen, sind wir letztendlich doch auch nicht viel besser.

Zur Person
Die Medienpädagogin Dr. May Götz ist wissenschaftliche Redakteurin am Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk, dem sie seit 2003 vorsteht. Außerdem leitet die 43-Jährige den Prix Jeunesse International, das international renommierteste Festival und Netzwerk für Kinderfernsehen weltweit.

Eva Stern | Fotos: IZI

 

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